Über kaum einen Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in der deutschen Gesellschaft – und auch darüber hinaus – bis zum heutigen Tag mehr diskutiert worden als über diesen: „Wir schaffen das.“ Das Echo war gemischt, die Skepsis vielfach groß. Auch am Westkreuz in München, wo im Dezember 2015 die ersten Flüchtlinge und Asylbewerber in die städtische Gemeinschaftsunterkunft (GU) an der Mainaustraße einzogen. Ohne jeden öffentlichen Aufruf erklärten sich damals am Westkreuz spontan rund 150 Bürgerinnen und Bürger bereit, ehrenamtlich in einem Helferkreis in der GU an der Mainaustraße mitzuwirken. Jetzt, rund 16 Monate später, hat dieser Helferkreis erstmals eine Bilanz seiner bisherigen Arbeit gezogen.
„Die Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen und die Spendenfreudigkeit im Stadtviertel ist ungebrochen groß“, fasst die Sprecherin des Helferkreises, Dagmar Mosch, die bisherigen Erfahrungen zusammen. Dieses Engagement sei „erstaunlich und großartig“. Zur Erfolgsbilanz des Helferkreises gehören nach den Worten Moschs unter anderem die sehr arbeitsintensiven Deutschkurse in den ersten Monaten nach der Ankunft der Flüchtlinge in der GU und die Organisation einer umfassenden Kinderbetreuung und Hausaufgabenhilfe, aber auch die Einrichtung einer Kleiderkammer oder das Projekt „Radl-Werkstatt“. Daneben habe es zahlreiche weitere Aktivitäten des Helferkreises im Zusammenhang mit den Flüchtlingen gegeben. Anfangs sei der Helferkreis eher „eine Art Feuerwehr“ gewesen, die immer dort gelöscht habe, „wo es gerade gebrannt hat“, ergänzt Susi Altmann, die viel persönliches Engagement in die anfängliche Kinder- und Familienbetreuung gesteckt hat.
Hilfsangebot neu justieren
Altmann, die mit zu den Ersten beim Aufbau des Helferkreises in der GU gehört, bekräftigt im Rückblick, „gerade am Anfang war es wichtig, einfach nur da zu sein für die neu angekommenen Flüchtlinge und ihnen zuzuhören.“ Doch jetzt, so sagt Dagmar Mosch, müssten die Ehrenamtlichen ihr Hilfsangebot „neu justieren“. Und das habe mit der veränderten Situation in der GU an der Mainaustraße zu tun. So konnten beispielsweise in den letzten Wochen die anfangs vom Helferkreis angebotenen Deutsch-Kurse für Asylbewerber deutlich reduziert werden, nachdem jetzt ein Großteil der GU-Bewohner in offiziellen Deutsch- oder Integrationskursen angemeldet ist. Reduziert werden konnte auch die Kinderbetreuung, da alle kindergartenfähige Kinder aus der GU inzwischen einen Kindergartenplatz haben und alle schulpflichtigen Kinder und Heranwachsenden in einer der Schulen untergebracht sind. Das allerdings hat zur Folge, dass der Helferkreis jetzt sein Angebot an Hausaufgabenhilfen deutlich ausdehnen muss. Der Einsatz des Helferkreises in diesem Bereich, so sagt die Koordinatorin dieses Arbeitskreises, Renita Liedl-Praetorius, sei „personalintensiver als erwartet“. Im Klartext: Zusätzliche ehrenamtliche Helfer, die sich in den Nachmittagsstunden für die Hausaufgabenhilfe zur Verfügung stellen wollen, sind herzlich willkommen. Viel Lob für seinen Einsatz bei der Hausaufgabenhilfe bekommt der Helferkreis übrigens von der Grundschule am Ravensburger Ring.
Völlig neue Herausforderungen
Ging es in den ersten Monaten um Nothilfe für die Neuankömmlinge in der GU an der Mainaustraße, so stehen die Ehrenamtlichen den Flüchtlingen jetzt verstärkt dabei zur Seite, sich in ihrer neuen Umgebung einzuleben und in ein weitgehend selbständiges Leben zurück zu finden. Das heißt beispielsweise Hilfe bei der Suche nach einem Job oder einem Ausbildungsplatz. Die ursprünglichen Sprachkurse des Helferkreises haben sich mittlerweile immer mehr in Kurse für Bewerbungstraining verwandelt. Und da sich jetzt die meisten Flüchtlinge in einem Asylverfahren befinden, sieht sich der Helferkreis nach den Worten von Dagmar Mosch „vor völlig neuen Herausforderungen“. Gesucht werden Paten für die Begleitung in den Asylverfahren und bei der Jobsuche. Das Handwerkszeug dazu bekommen Helfer in Schulungen der Ehrenamtlichen-Akademie der Arbeiterwohlfahrt (AWO).
Neu aktivieren will der Helferkreis mit dem jetzt beginnenden Frühjahr sein Radl-Projekt, für das noch „schraubende Helfer“ gesucht werden. Daneben engagiert sich der Helferkreis mit einem Frauenstammtisch, es gibt eine Musik-Gruppe, ein Tanz- und Bewegungsprojekt für Frauen, eine Handarbeitsgruppe und eine hauseigene Fußballmannschaft. „Wir wollen nicht für, sondern gemeinsam mit den Flüchtlingen etwas machen“, erläutert Dagmar Mosch die Leitlinie des Helferkreises. Der allerdings stößt nach den Worten Moschs immer öfter an Grenzen, sei es durch bürokratische Hürden, sei es durch politische Vorgaben. Nach Beobachtungen des Helferkreises sind die zunehmenden Ablehnungen von Asylanträgen und die Abschiebungen auch in der GU an der Mainaustraße ein großes Thema geworden. „Die Flüchtlinge sind verunsichert und frustriert, und die Helfer fühlen sich durch die verschärfte Flüchtlingspolitik ausgebremst,“ konstatiert Mosch. Statt hohle Dankesreden an die Ehrenamtlichen zu schwingen sollten die Politiker lieber auf das hören und umsetzen, was die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammern fordern, nämlich ungehinderten Zugang der Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt.
In der GU an der Mainaustraße leben jetzt rund 190 Menschen. Davon sind etwa zwei Drittel Familien mit insgesamt 50 Kindern und ein Drittel Alleinstehende. Autor: Christian Schneider